Claudia Kurtz (Bürgerin und Quartiersrätin in Schöneberg Nord)

Welche Orte im Schöneberger Norden empfinden Sie als schön und welche er­leben Sie als unsicher oder gefährlich? Der Quartiersrat fragte die Besu­cher*innen des Tages der offenen Tür der Stadtteilkoordination im Juni 2021 nach ihren Wohlfühl- und Angst­orten. Die Antworten für letztere sind wenig überraschend: Orte, an denen schon Überfälle stattgefunden haben, abgeschiedene Orte ohne soziale Kontrolle und Orte, an denen Probleme mit Drogen, Obdachlosigkeit und Prostitution verstärkt auf­treten. Doch wie sieht es dort tatsächlich aus? Welche konkreten Probleme liegen vor und welche Lösungsansätze gibt es? Neun dieser Orte suchten die 25 Teilneh­mer*in­nen auf dem Kiezspa­ziergang am 24. November 2021 auf, unter ihnen Bewohner*in­nen, Akteur*innen der Stra­ßensozialarbeit, der Suchthilfekoordination und Kriminal­prävention.


Erste Station war die Hochgarage Kirchbachstraße / Alvenslebenstra­ße,ein schon durch sein äußeres Erscheinungsbild auf­fälliger Gebäude­komplex mit großflä­chiger Fassadengestaltung durch den Streetart Künst­ler Phlegm und die vier Parke­benen mit darüber liegender zweigeschossiger Wohnnut­zung. Als Aus­druck des zur Bauzeit Ende der 70er Jahre propagierten städtebauli­chen Leitbilds der autogerech­ten Stadt wurde das Gebäude 2017 unter Denkmals­chutz ge­stellt. Tatsächlich befin­det sich das Parkhaus in einem ma­roden Zustand. Der Rundgang durch unzureichend beleuchtete Gänge und ohne Tages­licht rief ein gruse­liges Gefühl hervor. Eine Bewoh­nerin berich­tete von Vandalismus, Obdachlosen, Drogen­handel, Sexar­beiter*innen. Die Gewobag, Eigentümerin des Gebäudekom­plexes, plant umfangreiche Instandset­zungsmaßnahmen. Der Zeitpunkt ist ungewiss.

Die Teilnehmer*innen des Spaziergangs vor der Hochgarage

Die Unterführung am südlichen Ausgang des S-Bahnhofs Yorckstra­ße ist Um­satzort für Schwarzmarktaktivitäten und Drogendea­ler, Übernachtungsort für  Ob­dachlose. Ge­gen den Schwarzmarkthandel laufen poli­zeiliche Er­mittlungen. Das Ord­nungsamt führt regelmäßig Kontrollen durch. Der Drogennot­dienst ist ebenfalls häu­fig vor Ort und bie­tet seine Hilfe an. Eine Anwohnerin be­richtete, die Situation habe sich etwas verbes­sert. Es sei eben „das ganz normale Berliner Le­ben“, das dort statt­finde.

Am Zugang zum Gleisdreieckpark am Dennewitzplatz warteten Lars La­risch, Schö­neberger Parkmanager, und zwei Parkläufer. Ein dunkler Ort auf der Schöneberger Sei­te, im Gegensatz dazu der gut beleuchtete weiter­e Wegeverlauf auf Kreuzberger Terri­torium. Hier soll es Überfälle gegeben haben. „Kriminalitätsschwerpunkte ver­schieben sich“ erklärte Lars Larisch. Unmittelbar westlich grenzt der Nelly-Sachs-Park an. Seine Probleme sind Vermüll­ung, Drogenkonsum, der Spielplatz als Verrich­tungsort für Sexarbeit.

Blick in den Nelly-Sachs-Park

Ziel sei eine größere soziale Kontrolle vor Ort bei niedrigs­chwelliger An­sprechbarkeit. Den Wert ei­ner öf­fentlichen Grünan­lage vermitteln, De­eskalieren, Auf­sammeln von Kon­domen und Drogen­utensilien sind Aufgaben der Park­läufer. Anzu­treffen sind sie montags bis freitags in den Nach­mittags- und frühen Abendstun­den, freitags bis 21.30 Uhr, auch im öffentlichen Stra­ßenraum. Fester Stand­ort ist ein Bau­wagen am Parkeingang Blu­menthalstraße.

Lonneke Schmidt-Bink leitet den Frauentreff Olga in der Kurfürsten­straße 40, eine Kontakt- und Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen, Zwangs­prostituierte, vom Men­schenhandel Betroffene, drogenabhängige, ob­dachlose Frauen und Trans*frauen. Ne­ben warmen Mahlzeiten, Wäsche waschen, Duschen werden medizinische Hilfen, psy­cho-soziale Betreuung und rechtliche Beratungen angeboten. Dreiviertel der Frau­en kommen aus Südosteuropa, viele ohne Anspruch auf Harz IV. Wäh­rend der Pande­mie ist ihre Lage besonders schwierig. Täglich, mit Ausnahme sonn­tags, besuchen 30 bis 50 Frauen den Treff, momentan immer dieselben. Außerhalb der Pandemie be­steht eine hohe Fluktuation. Brachflächen, auf die sich die Frauen früher zurückzie­hen konnten, sind infolge des um­fangreichen Neubaus in der Umgebung verschwun­den.  Drogenkonsum und Prostitution werden in der Öffentlichkeit mehr sichtbar. Be­schwerden aus der Nachbarschaft nehmen zu. Der Frauentreff versucht zu vermit­teln. Es brauche mehr Schutzräume wie Olga, resümierte Lonneke Schmidt-Bink.

Die Villa Schöneberg in der Frobenstraße 27 ist eine Jugendfreizeiteinrich­tung mit großem Freigelände und Spielplatz. Beide waren bis vor einiger Zeit auch außerhalb der Öffnungszeiten öffentlich zugänglich. Infolge intensiven Drogenkonsums und Sexa­rbeit besteht diese Mög­lichkeit nun nicht mehr. Drogenhandel und -konsum exis­tieren weiter in der Umgebung, stellte Gunter Groß, Leiter der Vil­la Schöneberg, klar. Dar­unter seien viele Crack-User mit extremen Verhaltensweisen. Der Eingangsbe­reich sei für Obdachlose eine begehrte Stelle zum Übernachten. Die Si­tuation habe sich etwas entspannt nachdem die Kältehilfe am 1. Novem­ber 2021 in das gegen­überliegende Gebäude (ehemals Kurmark) eingezogen sei. Die Notunter­kunftsoll bis zum 31. März 2022 geöffnet bleiben und steht Frauen und Männern offen. Alkohol und Drogen sind verbo­ten. Von den 30 Plätzen sind derzeit etwa die Hälf­te belegt.

Das Nachbarschafts- und Familienzentrum Kurmark in der Kur­märkischen Straße 13 hält ein breitgefächertes offenes und Gruppenangebot für alle Altersgrup­pen sowie kostenlose Beratungen, z.B. im Ausländer- und Familienrecht vor. Leiterin Jutta Husemann äußerte sich sehr zufrie­den mit dem Umzug der Kurmark vom östli­chen Ende der Kurmärki­schen Straße (gegenüber der Villa Schöneberg) an das Westli­che. Zum Si­cherheitsempfinden meinte sie, „es ist derselbe Kiez. Und es kommen die­selben Leute. Aber man hat das Gefühl, man ist hier etwas weiter weg. Man sieht sie kom­men und gehen.“ Dennoch, ein Nachbar hielt es für kei­ne gute Idee, Bänke auf den Gehweg zu stellen. Die würden sehr bald ei­ner anderen Nutzung zugeführt wer­den. Und so war es.

Einen neuen Kontaktladen will der Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -ab­hängige in der Bülowstraße 106 im April/ Mai 2022 eröffnen. Eine frühzeitige Beteili­gung der Anwohner*innen ist vorgesehen.

Auch der Nollendorfplatz wurde aufgrund krimineller Ereignisse am Tag der offe­nen Tür als gefährlicher Ort genannt. Da keiner der Anwesenden konkrete Angaben machen konnte, blieb das Problem hier offen. Nach drei Stunden endete der Kiezspa­ziergang mit Linsensuppe zum Aufwärmen am Ausgangsort vor dem Stadtteilbüro im Pallasseum.

Der Kiezspaziergang machte deutlich, welche Nutzungskonflikte im Schöne­berger Norden durch unterschiedliche Interessengruppen existieren. Ihre Ursachen sind strukturell bedingt. Nachhaltige Lösungen erfordern gesellschaftspolitische Ver­änderungen. Der Rundgang diente dazu, Akteur*innen und Bewohner*innen auf die spezifischen Problemlagen und Einrichtungen vor Ort aufmerksam zu machen, sich gegenseitig kennenzulernen und auszutauschen und gemeinsam zu schauen, wie Ge­gebenheiten positiv stabilisiert und/ oder verbessert werden können.

Im Frühjahr 2022 planen Quartiersrat und Stadtteilkoordination zwei weitere Kiez­spaziergänge zum Thema Gefahrenorte für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen durchzuführen.

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