Auch im August wurde wieder zum Schöneberger Demokratiecafé eingeladen. Vor dem Stadteilbüro
hatten Anwohnerinnen, Passantinnen und vor allem Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich
bei Saft und Keksen über ein nicht ganz so einfaches Thema auszutauschen: Gefühle. Wie geht es uns heute, wurde zu Einstieg gefragt. So begann ein gemeinsames Gespräch über unsere psychische
Gesundheit.
Aus dem gemeinsamen Austausch
Bei einem so schwierigen Thema das Eis zu brechen, bedarf Fingerspitzengefühl und geeigneter
Methoden. Ein Tisch mitten auf dem Platz vor dem Stadtteilbüro, Kekse und Saft sind dabei machten
den Anfang. Kinder, Jugendliche und Erwachsene durften dabei zunächst „im Vorbeigehen“ mit
Klebepunkten einstufen, wie es ihnen gerade geht.
Wer blieb konnte Schritt für Schritt in das Gespräch einsteigen. Mit den wechselnden Grüppchen vor
allem von Kindern und Jugendlichen wurden sodann zunächst spielerisch einige Begriffe geklärt.
Weist du was „Freude“ ist? Und wie heißt das Wort eigentlich in deiner Familiensprache? So ergaben
sich schnell dynamische Gespräche, bei denen viel gelacht wurde, aber auch ernste Themen zur
Sprache kamen.
Anschließend ging es um die eher schwierigen Themen. Dabei rückten die Anwesenden vor allem
ihren Schulalltag in den Vordergrund. Hast du Freundinnen? Kennst du Kinder, mit denen niemand spielen will? Was machst du, wenn du merkst, dass ein anderes Kind immer alleine auf dem Schulhof ist und keine Freundinnen hat? Ist es dir schonmal so ergangen? Diese und weitere Fragen wurden
gemeinsam diskutiert.
Welch großes Glück, dass Iris Müller, von Cycling for Society e.V. mit am Start war. Iris ist Expertin für
psychische Gesundheit. Sie konnte die Aussagen der Kinder und Erwachsenen nicht nur im Kontext
unsere Stadtgesellschaft verorten. Weit gereist auf ihrem Drahtesel mit integriertem Infostand
konnte Iris bereits weltweit mit Menschen über das Thema sprechen. Mit ihrem Verein engagiert sie
sich dafür, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht ausgegrenzt werden.
Was wir gelernt haben
Iris haben wir auch ein wichtiges Fazit zu verdanken: Wenn du jemanden fragst, wie es ihr oder ihm
geht, sagt die Person meistens: „Mir geht es gut,“ erklärt uns Iris. So wurde auch meistens das eigene
Befinden auf unsere Punkteskala eingestuft. Dabei handelt es sich aber oft um eine sehr
vordergründige Aussage. Da die Gesellschaft von uns erwartet, dass es uns gut geht, bestätigen wir
das häufig auch, wenn wir gefragt werden, wie es uns geht, so lernen wir von der Expertin.
Um Fragen nach unserem psychischen Empfinden wirklich auf den Grund zu gehen, muss Vertrauen
geschaffen werden, sodass wir uns den tiefliegenden emotionalen Schichten zuwenden können.
Hierzu braucht es ein geeignetes Umfeld, gerade auch in unserer Gesellschaft. Wichtig ist, denjenigen zuzuhören und Raum zum Austausch zu geben, die nichts sagen, denen es schwer fällt zu sprechen, womöglich aus Angst oder Verzweiflung, so lässt sich folgern.
Und was hat das mit unserer Demokratie zu tun?
An diesem Nachmittag konnten keine abschließenden Antworten gegeben werden und die
gemeinsamen Gespräche – von fröhlich bis ernst und dabei stets ohne Angst – erreichten sicherlich
nicht die emotionalen Tiefen der jungen Teilnehmer*innen. Aber das war auch keinesfalls das Ziel.
Erreicht wurde, entsprechend des Anliegens der Veranstaltung, die Anwesenden für das Thema
psychische Gesundheit / psychische Erkrankungen zu sensibilisieren.
Psychische Erkrankungen müssen angesprochen und Stigmata aus der Welt geräumt werden, sodass
sich alle Menschen gesellschaftlich beteiligen können und soziale Teilhabe erfahren, anstatt
ausgegrenzt zu werden. Denn Demokratie kann nur gelingen, wenn alle Menschen Gehör finden und
gesellschaftliche Entwicklungen und Entscheidungen aktiv mitgestalten.
Text: Dr. Samuel Müller
Kommentare geschlossen